Macht. Wissen. Wettbewerb. Deutsche und europäische Wissenschaftspolitik im Technology Race

Macht. Wissen. Wettbewerb. Deutsche und europäische Wissenschaftspolitik im Technology Race

Organisatoren
Annemone Christians, Ludwig-Maximilians-Universität München; Vanessa Osganian / Helmuth Trischler, Deutsches Museum München; Andreas Wirsching, Institut für Zeitgeschichte München
Ort
München
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
23.05.2019 - 24.05.2019
Von
Anabel Harisch, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Im Wissenschaftsbetrieb gilt Konkurrenz zwischen ForscherInnen als treibende Kraft. Es handele sich um einen Wettkampf aller gegen alle, so die gängige Lesart. Doch Konkurrenz ist nur ein möglicher Interaktionsmodus zwischen WissenschaftlerInnen. Diese sind zugleich auf vielfältige Weise in kooperativen Strukturen eingebunden.

Der Workshop richtete den Blick auf den europäischen Forschungsraum: Hier folgt das Wechselverhältnis von Kooperation und Konkurrenz spezifischen Regeln, die seit den 1960er-Jahren zunehmend von politischer Seite mitgestaltet werden. PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen in Deutschland befürchteten in dieser Zeit, im globalen „Technology Race“ von der amerikanischen und japanischen Konkurrenz abgehängt zu werden. Von dieser Wahrnehmung, die auch die folgenden Jahrzehnte prägte, ging der Workshop aus. Thematisiert wurden das europäische bzw. bundesdeutsche Wissenschafts- und Innovationssystem seit den 1970er-Jahren unter dem Blickpunkt der Verflechtung von Kooperation und Konkurrenz.

Im ersten Vortrag des Workshops befasste sich JAROMÍR BALCAR (Berlin) mit der Genese von Governance, also Steuerungs- und Regelungsfunktionen, innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) seit den 1960er-Jahren. Eine Besonderheit, die die MPG von anderen Institutionen, auch von ihrer Vorgängergesellschaft, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (1911-1953/60), unterscheide, sei deren Finanzierung aus öffentlichen Mitteln, die in forschungspolitischen Fragen ein hohes Maß an Autonomie garantiere. Das Wachstum der MPG bedinge schließlich Änderungen in der Governance: Man habe sich vom Harnack-Prinzip, welches dem Direktor eines MPI großen Handlungsspielraum gewährte, abgewendet. Es setzte sich eine moderne, kollegiale Leitung durch, so Balcar, die bis 1970 in fast allen Max-Planck-Instituten umgesetzt worden sei. Mit der Satzungsreform von 1972 sei die „Flexibilisierung“ zentral geworden: Über die finanziellen Ressourcen sollte leichter verfügt werden können, außerdem wurden die Institute von nun an alle sieben Jahre evaluiert. In den Jahren von 1972 bis 1984 wurden zwanzig neue MPIs gegründet, worauf die MPG mit einer Zentralisierung ihrer Verwaltungsstrukturen und einer zunehmenden Bürokratisierung reagiert habe.

PETER WEINGARTs (Bielefeld) Beitrag beschäftigte sich mit den Facetten der Ökonomisierung der Wissenschaft. Der wissenschaftspolitische Diskurs und die Rolle der Universitäten veränderten sich durch Prozesse der Ökonomisierung fundamental, so Weingart. Die Universitäten entwickelten sich zu Institutionen, die zunehmend ökonomischen Logiken folgen und „Wissen“ vermarktlichen würden. Die Einführung des New Public Management habe einen künstlichen Markt für Universitäten geschaffen, in dem neue Leistungsmaße für die Zuordnung von Fördermitteln entwickelt worden seien, was das akademische System nachhaltig verändert habe. Die Konstruktion dieser Leistungsmaße stelle ein Problem dar, da sie anfällig für Manipulationen sei und stark vereinfache. WissenschaftlerInnen passten ihr Verhalten an diese Neuerungen an, unter anderem mit der Sicherung ihrer Reputation durch erhöhte Aufmerksamkeit und Zitationen.

In seiner Keynote arbeitete KIRAN KLAUS PATEL (Maastricht) heraus, wie die EU zu einem zentralen Forum der Wissenschaftspolitik auf europäischer Ebene wurde. Zunächst sei die EU nur ein Akteur von vielen in diesem Politikfeld gewesen, habe in den 1970er und 1980er-Jahren aber an Profil gewonnen und Dominanz entwickelt. Die Gründe dafür sah Patel unter anderem in ihren großen finanziellen Ressourcen. Die Forschung wurde ressourcenintensiver und konnte nicht mehr alleine von nationalen Fonds getragen werden, was die EU als Förderer ins Spiel gebracht habe. Die westeuropäischen Staaten hielten eine innovationsstützende Politik für einen unverzichtbaren Antrieb für wirtschaftliches Wachstum, so Patel. Er arbeitete heraus, dass sich die europäischen Länder allein nicht in der Lage sahen, den US-amerikanischen Großforschungsprojekten etwas entgegenzusetzen und daher den Weg der Kooperation auf der EWG-Ebene einschlugen. Andere europäische Organisationen seien mit strukturellen Krisen beschäftigt gewesen, die ihre Durchsetzungskraft gedämpft hätten. Zudem seien auf EWG-Ebene effiziente Netzwerker und „boundary spanners“ aktiv geworden. So habe es der EWG gelingen können, sich in einem längeren Prozess als bester Kooperationsverbund herauszukristallisieren.

Im Rahmen der ersten Working Group befasste sich der Workshop mit der historischen Perspektive auf wissenschaftlichen Wettbewerb. REINHILD KREIS (Mannheim) untersuchte den Wettbewerb „Jugend forscht“ als politisches Gestaltungsmittel im Kalten Krieg. Der 1965 ins Leben gerufene Wettbewerb habe dazu dienen sollen, die Bundesrepublik bis zur Jahrtausendwende im Bereich der Technik und Naturwissenschaften konkurrenzfähig zu machen bzw. zu halten. Seiner Einführung habe die Wahrnehmung zugrunde gelegen, dass ein Mangel an Naturwissenschaftlern herrsche, der problematisch für die wirtschaftliche Leistungskraft und Zukunftsfähigkeit des Landes sei. Kreis analysierte den Wettbewerb als eine Schnittstelle von Bildung, Wirtschaft und Politik, der in der Auseinandersetzung um die Gestaltbarkeit von Zukunft und unter den Bedingungen der internationalen Konkurrenz entstanden sei.

JEFFREY JOHNSON (Pennsylvania / Berlin) untersuchte das Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried als ein Modell für Großforschung in der MPG. Bei der Gründung des Instituts habe man sich auf das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Dahlem als „mythischen“ Ort wissenschaftlicher Zusammenarbeit bezogen. Adolf Butenandt, Direktor des MPG, habe sich beim Entwurf des Instituts in Martinsried stark daran orientiert, nicht zuletzt weil er selbst in den 1930er- und 1940er-Jahren in Dahlem tätig war. Butenandt wollte seine eigenen Erfahrungen aus Dahlem in die Gründung von Martinsried einbringen, die organisatorische Konzeption des neuen Instituts aber verbessern, so Johnson. Er markierte die Gründung des Großinstituts in Martinsried als Anfang von „Big Science“ in der MPG. Sie sei vor allem von der Wahrnehmung eines beschleunigten internationalen Wettbewerbs angetrieben worden.

ALEXANDER MAYER (München) thematisierte Konkurrenz und Ökonomisierung im deutschen Hochschulsystem von den 1950er-Jahren bis zur Exzellenzinitiative. Seit Mitte der 1970er-Jahre habe eine neue Verwettbewerblichung des Hochschulsystems eingesetzt, die Mayer auf die zunehmende Ressourcenkonkurrenz und einen hochschulpolitischen Paradigmenwechsel zurückführte. Durch den interuniversitären Wettbewerb, beispielsweise um die Finanzierung seitens der Länder, sollte die Leistungsfähigkeit des Hochschulsystems gesteigert werden. Universitätspräsidenten sahen sich zunehmend als Hochschulmanager, als die Verantwortlichen für die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Universität im Wettbewerb um finanzielle Mittel, Wissenschaftler, Prestige und Studierende, so Mayer. Sie seien zu quasi-ökonomischen Akteuren geworden, die ihre Entscheidungen zunehmend an externen Leistungskriterien ausrichten müssten.

CHRISTIAN MARX (München) machte in seinem Kommentar zwei strukturierende Faktoren für die historische Perspektive auf wissenschaftlichen Wettbewerb aus: Zeit und Raum. Bei allen Beiträgen der Working Group habe der Kalte Krieg für die Entwicklung der bundesdeutschen Wissenschaft eine wichtige Rolle gespielt.

BARBARA HOENIG (Innsbruck) eröffnete die zweite „Working Group“ mit einem Beitrag zum Wechselverhältnis deutscher und europäischer Forschungsförderung am Beispiel des European Research Council (ERC). Als Beispiel einer nationalstaatlichen Institution für Forschungsförderung wählte sie für ihre Untersuchung die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Hoenig machte den Matthäus-Effekt als den zentralen sozialen Mechanismus innerhalb des untersuchten Wechselverhältnisses aus: Bekannte WissenschaftlerInnen seien im Wettbewerb um wissenschaftliche Reputation mit höherer Wahrscheinlichkeit erneut erfolgreich, unabhängig von ihren tatsächlichen kognitiven Leistungen. Der ERC zeichne sich durch eine starke Exzellenzbetonung aus, durch die bereits bestehende Zentren und Peripherien weiter verstärkt würden. Zudem präferiere der Wettbewerb deutlich die Natur- und Lebenswissenschaften, die Forschenden der Geistes- und Sozialwissenschaften würden hingegen strukturell benachteiligt.

BERND KLEIMANN (Hannover) befasste sich mit der organisationalen Ökonomisierung der Forschung und stellte ein Analysemodell vor: Mit der Einführung des New Public Management hielten Prozesse, die ökonomischer Logik folgen, Einzug in das Wissenschaftssystems. Durch die Stärkung des Wettbewerbsmechanismus entstanden „unternehmerische“ Universitäten, so Kleimann. Es müssten nicht-normative, analytische Begriffe der Ökonomisierung entwickelt werden, um diese Entwicklung beschreiben zu können und die Semantik des Diskurses zu vereinheitlichen. Kleimann führte drei Ökonomisierungsregime, das Knappheits-, Konditional- und Gewinnregime ein, die dazu genutzt werden könnten, die unterschiedlichen Phänomene der Ökonomisierung zu systematisieren. Mithilfe dieses Modells könnten die Praktiken der Ökonomisierung der Wissenschaft weiterführend untersucht werden.

TINA PAUL (Chemnitz) analysierte anhand von Erfahrungen aus der deutsch-chinesischen Wissenschaftskooperation, ob Kooperation mit Zusammenarbeit einhergehe. Sie untersuchte, wie deutsch-chinesische Forschungszusammenarbeit funktioniert, und beobachtete, dass wissenschaftlichem Wissen unterschiedliche Bedeutung beigemessen wird. Die Zusammenarbeit könne durchaus aus einem gemeinsamen Erkenntnisinteresse heraus entstehen, aber auch ein Alibi zum Erhalt von Forschungsgeldern sein, wobei Zusammenarbeit hier nur simuliert würde. Ein enger Zusammenhang bestehe zwischen der Bedeutung von Wissen und der Qualität der Partnerbeziehung. Für Paul spielte Vertrauen zwischen den Partnern eine zentrale Rolle bei der Ausgestaltung der Kooperation. Kooperation als Zusammenarbeit finde vor allem dort statt, wo die Wissenschaftler bereits vor Beginn des Kooperationsprojekts über eine persönliche, vertrauensvolle Beziehung zueinander verfügten.

In seinem Kommentar stellte LUTZ MAEKE (München) das Paradoxon heraus, dass unter der Förderprämisse der Exzellenz Erfolg vor allem von Netzwerken abhinge: Um wissenschaftlich erfolgreich konkurrieren zu können, sei Kooperation unerlässlich.

Im abschließenden Vortrag befasste sich ARIANE LEENDERTZ (Köln/München) mit den Handlungsimperativen der Max-Planck-Gesellschaft seit den 1990er-Jahren. Der Amtsantritt Hubert Markls als Direktor der MPG 1996 stelle einen Bruch dar, mit dem eine Ökonomisierung der Politik in der MPG eingesetzt habe. Die MPG bemühte sich verstärkt darum, ihren politischen und ökonomischen Nutzen deutlich zu machen, so Leendertz. Die Förderung von Grundlagenforschung, wie sie an Max-Planck-Instituten betrieben wird, sei zentral für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik. Dabei gelte personelle Flexibilität als Grundvoraussetzung für Qualität und internationale Wettbewerbsfähigkeit. Seit den späten 1990er-Jahren habe die Wettbewerbsorientierung und Ökonomisierung der MPG deutlich zugenommen. Es seien neue Leistungs- und Vergleichsmetriken eingeführt und eine Rhetorik des Wettbewerbs durchgesetzt worden. Die Trias von Wettbewerb, Wohlstand und Flexibilität habe von da an das Leitbild der MPG geprägt.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einführung

Helmuth Trischler (Deutsches Museum München) / Andreas Wirsching (IfZ München)

Panel 1: Governance in der Wissenschaft

Jaromír Balcar (MPI für Wissenschaftsgeschichte Berlin): Geld – Macht – Wissenschaft. Zur Governance der MPG (1948–2002)

Panel 2: Wissenschaft und Wirtschaft

Peter Weingart (Universität Bielefeld/Stellenbosch University): Facetten der Ökonomisierung der Wissenschaft

Keynote Lecture

Kiran Klaus Patel (Maastricht University): Kooperation, Konkurrenz und Kairos. Die unwahrscheinliche Geschichte der Entstehung einer europäischen Wissenschaftspolitik

Working Group 1: Wissenschaftlicher Wettbewerb in historischer Perspektive

Reinhild Kreis (Universität Mannheim): Wettbewerb um die Zukunft. „Jugend forscht“ als politisches Gestaltungsmittel im Kalten Krieg

Jeffrey Johnson (Villanova University Pennsylvania/MPI für Wissenschaftsgeschichte Berlin): Martinsried as the New Dahlem? The MPI for Biochemistry as a Model for Big Science Policymaking in the Max-Planck-Society (1965–1990)

Alexander Mayer (Universität der Bundeswehr München): Konkurrenz und Ökonomisierung im deutschen Hochschulsystem von den 1980er-Jahren bis zu Exzellenzinitiative

Christian Marx (IfZ München): Kommentar

Working Group 2: Von Konkurrenz zu Kooperation – und wieder zurück? Modelle und Dynamiken

Barbara Hoenig (Universität Innsbruck): Das Wechselverhältnis deutscher und europäischer Forschungsförderung am Beispiel des European Research Council

Bernd Kleimann (Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung Hannover): Die organisationale Ökonomisierung der Forschung. Ein Analysemodell

Tina Paul (Technische Universität Chemnitz): Kooperation = Zusammenarbeit? Erfahrungen aus der deutsch-chinesischen Wissenschaftskooperation

Lutz Maeke (IfZ München): Kommentar

Panel 3: Wettbewerb in der Wissenschaft

Ariane Leendertz (MPI für Gesellschaftsforschung Köln, Historisches Kolleg München): Wettbewerb, Innovation, Flexibilität: Handlungsimperative der Max-Planck-Gesellschaft seit den 1990er-Jahren

Verabschiedung

Helmuth Trischler (Deutsches Museum München)

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